Impuls für die Woche
„Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie sich bekehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.“ Buch Jona, Kapitel 3, Vers 10
Jona und Corona
Ich liebe die Geschichte vom Propheten Jona im Alten Testament sehr. Eigentlich ist es meine Lieblingsgeschichte. Das hat mehrere Gründe. Zum einen mag ich den feinen Humor, den ich dahinter zu erkennen meine. Diese Erzählung klingt ein bisschen wie Satire. Wenn man sich die anderen Propheten so anschaut, sind sie alle erfolglose Mahner, oft geschmäht. Sie sagen die Worte des HERRN, doch man erhört sie nicht. Dann kommt so ein verzagter, ängstlicher Prophet wie Jona in eine große Stadt voller Verbrecher und Sündiger, um ihnen den Untergang zu predigen. Allen Erwartungen zum Trotz hören die Menschen auf seine Worte, der König befiehlt Buße und siehe da, der Untergang fällt aus. Ziemlich unerwartet, von Jona und dem Leser, nimmt diese Geschichte einen völlig anderen Verlauf als man ihn erwartet hätte.
Vielleicht bleibt die Katastrophe aus, wenn wir unser Verhalten ändern? Auch jetzt und hier und heute? Ich halte dieses Virus weder für eine göttliche Botschaft noch für eine Strafe. Aber diese alte Geschichte zeigt, dass man drohende Gefahren abwenden kann, wenn man sein Verhalten ändert. Das denke ich übrigens auch über das Rauchen.
Aber ich mag Jona noch aus einem anderen Grund. Er ist ein Mann voller Gefühle und er darf sie auch zeigen.
Jona hat Angst, riesige Angst. Seine Angst ist so groß, dass er fortläuft. Als ich im ersten Schuljahr hier in Wittenberg bei den ersten Klassen mit dieser Geschichte begonnen habe, suchte ich am Anfang ein sehr schüchternes Kind aus und schickte es zu den großen Schülern der Sekundarschule nebenan. Diese standen in der Pause immer unten am Zaun und rauchten. Ich forderte das Kind auf, am nächsten Tag zu dieser Gruppe zu gehen und ihnen zu sagen, dass sie mit dem Rauchen und der lauten Musik aufhören müssen. Ich habe nicht mit Konsequenzen gedroht, doch versuchte ich fest und bestimmt zu wirken. Man konnte sehen, wie das Kind mit sich gerungen hat. Als ich dann fragte, ob es meiner Aufforderung nachkommen wird, kam sofort ein leises Nein. Erstaunt hat mich dann, und diese Erfahrung mache ich oft, dass dieses Kind schwieg, als ich es nach den Gründen fragte. Zuzugeben, dass man vor einer Aufgabe Angst hat, fällt Kinder extrem schwer. Oft flüchten sie in Ausreden und andere Tätigkeiten. Schnell wird ihr Verhalten dann als bockig interpretiert oder ihnen wird Verweigerung vorgeworfen. Dabei steckt meist nichts anderes dahinter als Angst. Oder sie überspielen ihre Angst mit „Waffenrasseln“ und Geschrei.
Nicht nur bei Kindern hat Angst viele Gesichter. Es ist ein bisschen wie mit dem Lesen, auch wir verstecken oft unsere Angst. Bei Jona ist das erfrischend anders. Jona hat Angst und läuft weg. Ein richtiger Prophet aus der Bibel, ein Mann Gottes, rennt einfach weg! Als Erwachsener denkt man gleich, damit kommt er nicht durch. Unsere Lebenserfahrung sagt, dass man vor seinen Ängsten nicht weglaufen kann. Für Kinder ist es erstmal eine große Erleichterung, dass auch die Großen Angst haben und weglaufen. Wenn man darüber ins Gespräch kommt, dass meine Aufgabe und die von Jona, viele Gemeinsamkeiten haben, dann fällt es ihnen leichter über eigene Ängste zu sprechen. Ich finde ja, Kinder sind für sich selbst geniale Lösungsfinder. Es ist immer wieder spannend zu erfahren, welche verschiedenen Strategien sie selbst gegen ihre Ängste gefunden haben. Der Austausch über diese Strategien kann besonders ängstlichen Kindern helfen, selbst solche Lösungswege für sich zu probieren. Oft ist auch ein Teil der Erkenntnis die, dass alle Angst haben, wirklich jeder hat seine Ängste. Aber es gibt Wege aus dieser Situation. Weglaufen ist kein guter Weg. Das lernen wir bei Jona. Gott findet ihn und die Schiffsbesatzung muss ihn von Bord werfen. Gott zürnt dem Jona nicht, lässt ihn nicht ertrinken. Ich bewundere immer wieder die ebenso kluge wie nachsichtige Lösung, die Gott in dieser Situation für Jona findet. Im Bauch des Fisches hat Jona drei Tage und drei Nächte Zeit, um über sein Verhalten und seine Aufgabe nachzudenken. Wenn man die Kinder fragt, wie sie sich das Innere eines riesigen Fischbauches so vorstellen, könnte man meinen, sie waren selbst schon einmal in dieser misslichen Lage. Ihre Beschreibung von Kälte, Gestank und Schleim sind so bildhaft, dass einem schnell klar wird, wie sich Jona wohl fühlt. Er ist natürlich erleichtert, weil er nicht ertrunken ist. Doch er ist auch sehr einsam. Außerdem weiß er ja nicht, wie lange es dauern wird und ob er überhaupt wieder rauskommt. Ein großes Gefühl von Unsicherheit macht sich in ihm breit. Mal ganz davon abgesehen, dass ihm wahrscheinlich kalt ist und übel und hungrig und …
Was tut Jona? Er betet. Ich bin immer wieder verblüfft darüber, wie treffend schon Grundschulkinder Gebete formulieren können. Viele sind in der Lage mit ihren eigenen Worten Gott zu danken und ihn um etwas zu bitten. Dank ihrer Phantasie vermögen sie sich gut in die Lage des Propheten hineinzuversetzen und Worte auch für ihn zu formulieren.
Diese alte Tradition ist bis heute in unseren Fürbitten lebendig geblieben. Unseren Dank ebenso wie unsere Nöte vor Gott zu bringen, hilft uns, mit unseren Ängsten gut umzugehen. Dabei nicht nur an uns zu denken, sondern auch an die anderen Menschen, verbindet uns zu einer Gemeinschaft.
Wovor haben Sie Angst? Wie gehen Sie damit um?
Jona wird mutig, aus Dankbarkeit, und geht nach Ninive. Wenn wir daran denken, was wir alles schon überstanden haben, wie viele Situationen wir gemeistert haben, wächst unser Mut. Man kann Ermutigung pflegen wie eine kleine Pflanze. Auch bei unseren Kindern. Wenn wir sie eigene Wege finden lassen, wenn wir ihnen etwas zutrauen, dann werden auch unsere Kinder ermutigt, neue Erfahrungen anzunehmen und anzugehen. Gott hat dem ängstlichen Jona eine Menge zugetraut. Das hat der Jona selbst nicht geglaubt, dass er das schafft. Gott hat ihm diese Aufgabe auch nicht abgenommen, nachdem er fortgelaufen war. Sondern er hat ihn weglaufen lassen, sogar zugesehen, wie er ins Meer geworfen wurde. Gott hat dabei zugesehen, wie verzweifelt Jona war und wie er gelitten hat. Er hatte bestimmt keinen Spaß daran, sondern er wusste, dass Jona nur an den Aufgaben wachsen kann, die er selbst bewältigt und er war ganz sicher, dass der Jona diese Aufgabe auch wirklich schaffen kann. Wie schnell neigen wir dazu unseren Kindern Aufgaben abzunehmen, weil sie nicht den Weg nehmen, den wir uns vorstellen, anstatt ihnen geduldig einen Umweg zu erlauben. Ja, jeder darf Angst haben. Man kann auch versuchen wegzulaufen, aber es hilft nicht. Mit jeder gelösten Lebensaufgabe lernen wir, dass wir Gott vertrauen können. Er weiß, welche Last wir tragen können.
Im Gebet können wir ihn um Beistand, Hilfe und vor allem Geduld mit uns selbst bitten.
Sprechen Sie mit Ihren Kindern über die Ängste und Sorgen, die sie in ihren Herzen tragen. Reden Sie diese Ängste nicht klein mit „das wird schon“ Floskeln. Suchen Sie nach Möglichkeiten diese Ängste abzubauen. Man kann sie ebenso wenig wegreden, wie man vor ihnen weglaufen kann. Ich hatte als Kind immer Angst, dass ein Einbrecher und Mörder hinter dem Schrank steht. Zum Fenster hin war eine Lücke zur Wand und davor wehten die Vorhänge wegen des geöffneten Fensters gespenstisch hin und her. Ich habe jeden Abend eine viertelstündige Ansprache an den vermeintlichen Bösewicht gehalten, warum es sich jedenfalls nicht lohnt bei uns einzubrechen und gerade mich umzubringen. Mal unabhängig davon, dass nur ein tauber Verbrecher diesen Redefluss ertragen hätte, kam eines Abends mein 13 Jahre älterer Bruder in mein Zimmer und schimpfte, weil ich noch nicht schlief. Er hörte sich meine Geschichte an, lehnte seinen Rücken an den Schrank und schob ihn dichter an die Wand. Dann zeigte er mir, dass da kein Mensch mehr stehen kann, weil es viel zu eng ist. Ich bin ihm heute noch dankbar, dass er mich nicht ausgelacht hat, oder darüber belehrt, dass sowieso keiner bei uns einbricht.
Zeigen Sie Ihren Kindern wovor Sie Angst haben, auch jetzt noch, als erwachsener Mensch und wie Sie damit umgehen. Welche Strategien haben Sie gefunden, um an einer Aufgabe, die Ihnen Angst macht zu wachsen? Welche Ziele haben Sie erreicht, obwohl Sie selbst am Anfang nicht daran geglaubt haben, dass Sie es wirklich schaffen?